Was ist die Polyvagal-Theorie?
Die Polyvagal-Theorie beschreibt drei verschiedene Zustände deines autonomen Nervensystems und erklärt die sogenannte Hierarchie zwischen den Zuständen sowie auch, was es benötigt, um sich zwischen diesen Zuständen zu bewegen.
Unser autonomes Nervensystem funktioniert – wie der Name schon verrät – ohne unsere bewusste Steuerung. Sehr vereinfacht beschrieben, aktiviert oder deaktiviert unser autonomes Nervensystem bestimmte Bereiche unseres Körpers, um uns bei wahrgenommener Gefahr zu unterstützen.
Wichtig zu vermerken ist hier, dass es sich wirklich um wahrgenommene Gefahren handelt, nicht darum, ob unser Leben tatsächlich in Gefahr ist. Ursprünglich war die Funktion unseres Nervensystems, uns vor Säbelzahntigern zu schützen und uns beispielsweise dabei zu unterstützen, möglichst schnell wegzulaufen.
Die heutzutage wahrgenommenen Stressoren am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld sind zum Großteil natürlich nicht mehr direkt lebensbedrohlich. Das bedeutet aber nicht, dass sie in unserem Körper nicht trotzdem die gleichen Reaktionen auslösen können, als wären wir ständig von Tigern umgeben.
Wenn man sich das einmal bildlich vorstellt, erleben viele Menschen in einem Zustand von chronischem Stress, dass sie sich permanent auf der Hut fühlen müssen, da sie jederzeit angegriffen werden könnten. Und wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst, ist das nicht unbedingt ein Zustand, in dem unser Körper sich dauerhaft befinden sollte, um langfristig gesund und widerstandsfähig zu bleiben.
Woher weiß ich, in welchem Zustand ich bin?
Damit du einmal in dich hineinfühlen kannst, um die drei Zustände der Polyvagal-Theorie im Körper nachzuvollziehen, hier ein kleiner Überblick:
1. Aus eigener Erfahrung kennst du es bestimmt, dass es Momente und Situationen gibt, in denen du dich ruhig und offen fühlst.Das sind generell Situationen, in denen du dich gerne und einfach mit anderen Menschen verbinden kannst und eine eher positive Einstellung zum Leben und zu dem, was kommt, hast.Dies ist ein ventral-vagal geprägter Zustand – oftmals als „rest, digest & recover“ beschrieben.
2. Es gibt dann auch Momente, in denen du dich eher ängstlich oder wütend fühlst.
Das sind Momente, in denen du das Gefühl hast, dich verteidigen zu müssen, und in denen es dir möglicherweise schwerer fällt, mit anderen Menschen in eine ruhige Verbindung zu treten.Dies ist ein sympathisch geprägter Zustand – oftmals als „Fight or Flight“ bekannt.
3. Als dritten Zustand gibt es den sogenannten dorsal-vagal geprägten Zustand. In diesem verspürst du eine gewisse Antriebslosigkeit; es scheint in diesem Zustand wenig Hoffnung zu geben, und du hast das Gefühl, aufgeben zu wollen. Dieser Zustand wird oft als „Freeze“ bezeichnet und tritt laut der Theorie dann ein, wenn wir über einen “langen Zeitraum das Gefühl haben, in einem Kreislauf aus Herausforderungen gefangen zu sein”*.
Wie du dir vorstellen kannst, ist das Bestreben, immer wieder zum ventral-vagal geprägten Zustand (rest, digest & recover) zurückzukehren, da dies der Zustand ist, in dem unser Körper sich erholen kann, unsere körperlichen Funktionen frei ihren Lauf nehmen können und wir mental in Verbindung treten sowie Stress frühzeitig wahrnehmen können.
Beobeachte dich selbst:
Als eine kleine Übung für den morgigen Tag lade ich dich dazu ein, immer wieder einmal kurz innezuhalten und zu spüren, in welchem Zustand du dich in dem jeweiligen Moment gerade befindest.
Deine Atmung und der Vagusnerv
Die oben beschriebenen Signale, die dein autonomes Nervensystem von deinem Körper aufnimmt, sind unter anderem auch mit deiner Atmung verbunden. Wenn wir gestresst sind, atmen wir oftmals schneller und fast ausschließlich in den Brustbereich – beides Signale für dein Nervensystem, dass Stress besteht.
Du kannst es dir so vorstellen: Durch eine aufwühlende E-Mail bei der Arbeit fühlen wir uns gestresst und verspüren den Drang, schnell zu antworten. Mit großer Wahrscheinlichkeit verändert sich dadurch deine Atmung – sie wird schneller und flacher.
Das ist kein Problem, wenn wir nach dem Absenden der E-Mail wieder in den ventral-vagal geprägten Zustand wechseln (rest, digest, recover) mit langsamerer und tieferer Atmung.
Für viele Menschen in unserer heutigen Gesellschaft ist das aber nicht mehr der Fall. Oft behalten wir die flache Atmung bei und kommen bis zum Abend nicht mehr aus dem sympathisch geprägten Zustand heraus. Das ist der Punkt, an dem Atembewusstsein und bewusstes Atmen wirklich unterstützen können.
Vorschlag für eine Atemübung
Wenn du dir bereits einen Tag genommen hast, um zu beobachten, in welchem Nervensystem Zustand du dich zu verschiedenen Tageszeiten befindest, wäre der nächste Schritt, deinen Atem einmal ganz genau zu beobachten.
Das ist anfangs schwierig, da man meist den Impuls hat, den Atem verändern zu wollen.
Schau einmal, ob es dir möglich ist, deinem Atem nur BeobachterIn zu begegnen:
- Setze dich bequem mit aufrechter Wirbelsäule auf einen Stuhl.
- Richte deinen Fokus auf deine Nase und spüre, wie die Luft hier hinein- und herausströmt.
- Ist der Luftfluss eher schnell oder langsam?
- Ist deine Einatmung oder deine Ausatmung länger?
- Richte jetzt deinen Fokus auf deinen Oberkörper und lege möglicherweise eine Hand auf deinen Bauch und eine auf deinen Brustbereich.
- Bemerkst du, ob die Luft in den Brustbereich oder in den Bauch fließt – oder in beides?
Ich bin gespannt, von dir zu hören!
Teile gerne in den Kommentaren, wie du mit den Übungen zurechtgekommen bist und was du bei der Beobachtung deines Nervensystemzustandes und deiner Atmung über den Tag hinweg bemerkt hast.
Solltest du mehr über deine Atmung und dein Nervensystem erfahren möchten, könnte eines meiner 1:1 Coaching Programme genau das Richtige sein. Oder schau einmal online bei einer meiner Breathwork oder Yin Classes vorbei.








